Verwirkung

Nach geltendem Unterhaltsrecht gibt es die Möglichkeit, dass Unterhaltsansprüche komplett oder teilweise verwirken – sie können dann nicht mehr geltend gemacht werden.  Es sind dabei zwei Fallkonstellationen denkbar, in denen eine Verwirkung in Betracht kommt:

  1. der Unterhaltsanspruch verwirkt wegen grober Unbilligkeit oder illoyalen Verhaltens des Unterhaltsberechtigten
  2. der Unterhaltsanspruch verwirkt, weil der Unterhaltspflichtige nicht mehr ernsthaft damit rechnen muss, rückständige Unterhaltsansprüche zu zahlen

Die zweite Konstellation kommt dabei denkbar selten vor und resultiert aus diverser Rechtsprechung. Der Unterhaltsberechtigte müsste dazu den rückständigen Unterhaltsanspruch eine längere Zeit nicht geltend gemacht haben, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. Der Unterhaltspflichtige durfte aufgrund dieses Verhaltens davon ausgehen, dass auch zukünftig keine Unterhaltszahlung verlangt wird. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Unterhaltsansprüche bereits dann verwirken, wenn sie ein Jahr lang nicht geltend gemacht werden. Besteht also beispielsweise ein gerichtliches Urteil darüber, dass Unterhalt in einer konkreten Höhe gezahlt werden muss, müssen Vollstreckungsmaßnahmen wie Kontopfändungen angestrebt werden, damit eine Verwirkung vermieden werden kann.

Die Verwirkung wegen grober Unbilligkeit ist hingegen gesetzlich geregelt und in verschiedenen Konstellationen anzunehmen. Diese Form der Verwirkung kommt allerdings nur für den Ehegattenunterhalt und den Verwandtenunterhalt in Betracht. Kindesunterhalt ist von einer drohenden Verwirkung wegen grober Unbilligkeit nicht betroffen.

Zunächst ist die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen immer dann grob unbillig, wenn die Ehe nur kurze Zeit bestand – hier hat sich ein Zeitraum von weniger als zwei Jahren zwischen Heirat und Zustellung des Scheidungsantrages eingebürgert.

Der bedeutsamste gesetzliche Verwirkungsgrund liegt aber vor, wenn der unterhaltsberechtigte Ehepartner in einer neuen sogenannten verfestigten Lebensgemeinschaft lebt. Früher war hierzu ein mehrjähriges Zusammenleben notwendig – nach der aktuellen Rechtsprechung kann die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen aber schon dann eintreten, wenn die neue Beziehung seit zwei bis drei Jahren besteht. Eine Verwirkung wird auch insbesondere dann angenommen, wenn ein Kind aus der neuen Lebenspartnerschaft hervorgegangen ist oder wenn Planungen, beispielsweise ein Hausbau, für die gemeinsame Zukunft unternommen werden. Die Verwirkung des Unterhalts wird damit begründet, dass durch die neue Partnerschaft eine gewisse Illoyalität gegenüber dem ehemaligen Partner deutlich wird, sodass diesem eine Unterhaltszahlung nicht mehr zugemutet werden kann.

Weiter machen auch Straftaten die Zahlung von Unterhalt unbillig, wenn sie sich gegen den Unterhaltspflichtigen oder seine Angehörigen richten. Denkbar ist hierbei beispielsweise ein Prozessbetrug, wenn der Unterhaltsberechtigte Einkünfte verschwiegen hat. Aber auch Körperverletzungen können den Unterhaltsanspruch ausschließen. Beleidigungen oder falsche Verdächtigungen reichen für eine Verwirkung nur aus, wenn sie Angriffe übersteigen, die für eine Ehekrise noch typisch sind.

Eine Verwirkung des Unterhalts tritt auch dann ein, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, beispielsweise wenn der Arbeitsplatz ohne Grund aufgegeben oder eine psychische Erkrankung nicht behandelt wird. Unterhalt wird aber auch dann verwirkt, wenn Vermögensinteressen des Unterhaltspflichtigen verletzt werden. Typische Fälle sind das Verschweigen einer neuen Partnerschaft oder eigener Einkünfte.

Schließlich kann eine Verwirkung auch dann eintreten, wenn dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Der häufigste Fall ist hier der sogenannte „Ausbruch aus der intakten Ehe“. So wird die Unterhaltsverwirkung dann angenommen, wenn der hauptsächliche Grund der gescheiterten Ehe darin liegt, dass eine neue Partnerschaft aufgenommen wurde.  

Verwirkung bedeutet aber nicht immer, dass der Unterhaltsanspruch vollständig wegfällt – er kann auch nur der Höhe nach oder zeitlich beschränkt werden. Insbesondere in den Fällen, in denen der Unterhaltsberechtigte (und für die Verwirkung Verantwortliche) noch kleine Kinder aus der Ehe betreut, kommt meist nur eine Herabsetzung des Unterhalts in Betracht. Mehrere für sich genommene weniger gravierende Verfehlungen können zusammen aber so schwer wiegen, dass sie zu einer vollständigen Verwirkung des Anspruchs auf Ehegattenunterhalt führen.