Totalschaden: Was kann ich abrechnen?

Die Abrechnung im Totalschadenfall gehört zu den unübersichtlichen Themen des Verkehrsrechts. Aufgrund zahlreicher Gerichtsurteile haben sich mehrere Abrechnungsfälle herausgebildet die am besten mit Rechenbeispielen erläutert werden können. Wie Sie sehen werden ist die Materie sehr kompliziert. Die Versicherungen versuchen in der Praxis die kostengünstigste Abrechnung durchzudrücken. Ohne anwaltliche Vertretung hat der Geschädigte in der Regel schlechte Karten, wenn er bei einem Totalschaden sein Fahrzeug reparieren und weiternutzen will. Der frühe Gang zum Rechtsanwalt lohnt sich. Da die gegnerische Versicherung auch die Anwaltskosten bezahlen muss, ist das Kostenrisiko bei einem unverschuldeten Unfall gering.

Totalschaden

Ein Totalschaden liegt vor, wenn eine Reparatur technisch unmöglich ist (technischer Totalschaden, zB. Fahrzeug vollständig abgebrannt) oder die Reparatur sich wirtschaftlich lohnt, da sie zu teuer ist.

Wirtschaftlicher Totalschaden

Die (Brutto-)Reparaturkosten liegen über dem Wiederbeschaffungsaufwand (WBA)

Wiederbeschaffungswert (WBW)

Der Wiederbeschaffungswert ist der Zeitwert des Unfallfahrzeugs vor dem Unfall. Maßgeblich ist der Netto-Wert.

Restwert (RW)

Das ist der Wert, den das Fahrzeug im verunfallten Zustand aktuell noch hat.

Wiederbeschaffungsaufwand (WBA)

Wiederschaffungswert (Netto) abzüglich Restwert (Brutto)

Wertminderung (WM)

Das ist der Betrag um den das reparierte Fahrzeug aufgrund des Unfalls beim Wiederverkauf weniger wert ist.

Fahrzeugschaden

Reparaturkosten-Brutto + Wertminderung

Totalschadenabrechnung

Die Brutto-Reparaturkosten (RK) liegen über dem Brutto-WBA.

Beispiel:  

RK-Brutto:          4.000 €

WBW-Netto:      5.500 €

RW-Brutto:         2.500 €

WBA:                   3.000 € (WBW 5.500 € – RW 2.500 €)

Die RK liegen über dem WBA. Es liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor.

Hier versuchen die Haftpflichtversicherungen den Schadenfall kostengünstig zu beenden, indem Sie nur den WBA zahlen. Es gibt aber Fälle, in denen unter bestimmten Voraussetzungen bei derselben Konstellation mehr als der WBA gezahlt werden muss.

Unter-Hundert-Fall

RK unter dem WBW aber über WBA.

Beispiel:

WBW-Netto:      5.500 €

RK Netto:            3.360 €

RK Brutto:           4.000 €

RW:                      2.500 €

WM:                        500 €

WBA:                   3.000 € (WBW Brutto-RW Brutto)

Hier liegt der Fahrzeugschaden (RK-Brutto + WM) über dem WBA aber unter dem WBW.

Hier gibt es je nach den Unterfällen: keine Reparatur, Teil-Reparatur, vollständige Reparatur, verschiedene Abrechnungsfälle:

a) keine Reparatur, 6 Monate Weiternutzung

Unter der Voraussetzung, dass der Geschädigte sein Fahrzeug verkehrssicher macht (Achtung: keine gutachtengemäße Reparatur) und das Fahrzeug 6 Monate weiter nutzt, kann er die RK-Netto = 3.360 € laut Gutachten bis zur Höhe der des WBW verlangen.

b) keine Reparatur, Verkauf innerhalb 6-Monate-Frist

Nur WBA = 3.000 €

c) teilweise Reparatur, 6 Monate Weiternutzung

RK-Netto + MwSt.

d) teilweise Reparatur, Verkauf innerhalb 6-Monate-Frist

Nur WBA = 3.000 €

e) vollständige Reparatur, 6 Monate Weiternutzung

RK-Brutto = 4.000 €

f) vollständige Reparatur, Verkauf innerhalb 6-Monate Frist

Nur WBA = 2.500 €

Der 130 % – Fall

RK-Brutto bis zu 30 % über WBW. Die Rechtsprechung billigt hier den Ersatz des Fahrzeugschadens bis zu 30 %  über dem WBW zu. Das sog. „Integritätsinteresse“ des Geschädigten, überwiegt das Wirtschaftlichkeitsinteresse des Schädigers bzw. seiner Versicherung. Das Integritätsinteresse bezeichnet das Interesse des Geschädigten, dass ihm sehr vertraute zB. wegen Gewöhnung, liebevoller Pflege (Check-Heft, Oldtimer) Fahrzeug weiter nutzen zu wollen. Dies ist aber an weitere Voraussetzungen gebunden.

Beispiel

WBW-Netto:      5.500 €

RK Netto:            5.265 €

RK Brutto:           6.500 €

RW:                      2.500 €

WM:                        500 €

WBA:                   3.000 € (WBW Brutto-RW Brutto)

Der Fahrzeugschaden (RK-Brutto + WM) beträgt 7.000 € und liegt 27% über dem WBW-Brutto. Die Versicherung möchte natürlich den WBA zahlen.

Auch hier kann je Unterfall der Nicht-Reparatur, teilweisen Reparatur oder vollständigen Reparatur unterschiedlich abgerechnet werden:

a) vollständige Reparatur, fachgerecht gemäß Gutachten

Voraussetzung ist aber eine sach- und fachgerechte und insbesondere vollständige Reparatur laut Gutachten und eine Weiternutzung von 6 Monaten. Der Fahrzeugschaden wird vollständig ersetzt = 7.000 €. Hier sieht man die enorme Differenz zum Ersatz dem WBA, wie es die Versicherung in jedem Totalschaden-Fall kurzerhand machen will.

b) teilweise Reparatur

Die tatsächlich angefallen, oder wertmäßig entsprechenden Reparaturkosten (Fall: Eigen-Reparatur) über dem WBA können bis zur Grenze des WBW ersetzt werden. Voraussetzung ist auch hier der Weiternutzungswille, in der Regel 6 Monate Weiternutzung. Hier können Probleme beim Nachweis der sach- und fachgerechten Reparatur entstehen. Insbesondere sind hier die Fälle der Reparatur in Eigenregie unter Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen als problematisch zu benennen.

c) Keine Reparatur

Nur WBA = 3.000 €

Fahrzeugschaden über 130 % des WBW

Liegen die geschätzten Reparaturkosten gem. Gutachten über 130 % des WBW wird nach schadensrechtlichen Grundsätzen nur der WBA ersetzt. Grund hierfür ist, dass die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig ist, und das Wirtschaftlichkeitsinteresse des Schädigers überwiegt (BGH, Urteil vom 10.07.07, Az. IV ZR 258/06).

Auch die Aufspaltung der Reparaturkosten in 2 Teile ( Schädiger zahlt bis 130 % des WBW, Geschädigter den Rest) ist untersagt (BGH a.a.O.).

Achtung!!!

Liegen der Fahrzeugschaden laut Gutachten zunächst innerhalb der 130 % – Grenze, stellt sich aber bei der Reparatur später heraus, dass die Kosten darüber steigen werden,  geht das nach derzeitiger Rechtsprechung zu Lasten des Schädigers, der dann die vollen Reparaturkosten auch über der 130 % – Grenz zahlen muss. Das Prognose-Risiko geht zu Lasten des Schädigers (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 11.10.2000 – 7 U 203/98;  OLG München, Urteil vom 08.01.1991 – 5 U 3782/90; OLG München, Urteil vom 17.09.1993, Az: VIZR 314/90).